Adolf Hitler legte vor 75 Jahren den Grundstein für das VW-Werk im heutigen Wolfsburg. Doch nicht patriotische Emphase, sondern nüchternes Kalkül führten schließlich zur Entstehung einer Ikone.
Die meisten Städte sind, wenn man so will, harmonisch gewachsen. Aus kleinen Anfängen werden sie, wenn ihre Lage dem förderlich ist, allmählich größer, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert. Nicht so Wolfsburg. Die Stadt ist eine politische Gründung, die auf das Jahr 1937 zurückgeht und eher zufällig zustande kam.
Die Nationalsozialisten hatten beschlossen, ein neues Automobilwerk zu bauen, das die bisherigen – und in Privatbesitz befindlichen – an Größe und Ausstoß bei Weitem übertreffen sollte. Es war eine Planung am Reißbrett. Man entschied sich für die kleine Gemeinde Fallersleben, die zwischen Hannover und Magdeburg lag. Hier war 1798 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben geboren worden, der das „Lied der Deutschen“, die spätere Nationalhymne, geschrieben hat.
Doch nicht patriotische Emphase, sondern nüchternes Kalkül führte zur Wahl dieses Standorts. Denn Fallersleben war ein verkehrstechnisch günstiger Ort: Es liegt nahe dem Mittellandkanal sowie nahe der Eisenbahnstrecke Berlin-Ruhrgebiet und der Autobahn von Berlin nach Hannover. Auch befanden sich in den nahen Städten Peine und Salzgitter Stahlwerke. Wolfsburg wurde ganz in der Nähe geplant, gewissermaßen als Schlafstadt für die künftigen Arbeiter des neuen Werks.
Sonderzüge in eine unwirtliche Gegend
Vor 75 Jahren am 26. Mai 1938 wurde mitten im Wald bei Fallersleben der Grundstein für das gelegt, was später das VW-Werk wurde. Das NS-Regime hatte immerhin 50.000 Menschen mit Sonderzügen in die unwirtliche Gegend karren lassen. Die Zeremonie der Grundsteinlegung dauerte ganze vier Stunden und wurde in voller Länge im Radio übertragen.
Das war Teil einer groß angelegten Propagandakampagne, mit der das Regime für ein neues, für alle Bevölkerungsschichten erschwingliches Auto warb: für den „Volkswagen“. Adolf Hitler scheute sich zwar, das damals noch im Experimentierstadium befindliche Automobil so zu nennen, aber im Volksmund hieß es schon längst so.
Wie alle Massenveranstaltungen der Nationalsozialisten fiel auch diese martialisch aus. Vor der Rednertribüne standen drei Prototypen des künftigen Gefährts. Zuerst sprach Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der das Thema preludierte. Diese Fabrik, rief er, sei für Adolf Hitler eine seiner wichtigsten Projekte.
Vier Gänge, vier Personen, Heckmotor
Danach erklärte ein anderer Redner die technischen Einzelheiten des Autos: vier Gänge, vier Personen, Heckmotor, komplette Stahlkarosserie – dieser „Volkswagen“ sollte schneller, komfortabler und robuster sein als die „Volkswagen“ der Italiener und Franzosen, der Fiat 500 und der 2CV. Nun trat Adolf Hitler an das Rednerpult und hielt eine seiner Reden, in denen er sich höhnisch über all jene erhob, die ihm mit Bedenken, Schwierigkeiten, Problemen und Zweifeln kamen.
Getragen von dem Siegesrausch, in den ihn der zwei Monate vorher vollzogene „Anschluss“ Österreichs an Deutschland versetzt hatte, spottete er über die Fachleute der Automobilindustrie, die ihm den Wagen für alle immer nur ausreden und ihm sagten, ein Auto, das nur 990 Reichsmark kosten sollte, sei schlicht nicht zu realisieren. „Ich hasse das Wort unmöglich“, rief er und prophezeite dem neuen Auto eine glanzvolle Zukunft. Er sollte gegen die Bedenkenträger recht behalten. Doch diese Zukunft begann erst, als Hitler tot und sein Reich zerstört war, im August 1945.
Eine Woche nach der Grundsteinlegung veröffentlichte die „New York Times“ einen wohlwollenden Artikel über Hitlers Vorhaben, Deutschland nach den USA zum zweiten Land zu machen, in dem das Auto nicht mehr nur den Reichen vorbehalten sein soll. Es heißt dort: „Schon bald will Der Führer seine langen, wohlgestalteten Autobahnen mit Tausenden und Abertausenden von glänzenden kleinen Käfern übersäen, die vom Baltikum bis in die Schweiz und von Polen nach Frankreich schnurren.
Vaterland durch die Windschutzscheibe
„Vater, Mutter und bis zu drei Kinder werden drinnen sitzen und zum ersten Mal ihr Vaterland durch die eigene Windschutzscheibe sehen.“ Es ist das erste belegte Mal, dass das Auto „Käfer“ genannt wird. Und es fällt auf, wie groß der Autor mehr als ein Jahr vor dem Beginn des deutschen Eroberungskrieges Deutschland damals schon dimensioniert.
Der VW trat spätestens mit dem Beginn der 50er-Jahre einen ungeheuren Siegeszug an. Er wurde, auch seiner Form wegen, zu einer automobilen Ikone, dessen Ruf fast um den ganzen Erdball ging. Das eiförmige Auto, das bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 2003 in der Gestalt im wesentlichen unverändert blieb, fand ohne große stilistische Veränderungen seinen Weg über Länder- und Staatengrenzen hinweg.
Von den Nazis gegründet, die eine deutsche Welt wollten und den Kosmopolitismus hassten, wurde der VW zu einem universalistischen Mythos. Wie kam es dazu? War der VW eine Art trojanisches Pferd, das der Nationalsozialismus über seinen Untergang hinaus in die freie Welt schmuggelte?
Der VW als trojanisches Pferd
Man darf sich die Nazis nicht dümmer vorstellen als sie waren. Hitler, der Antisemit und Rassist, war zugleich von Amerika, dem Hort der „Plutokratie“, fasziniert. Als Deutschland geistig noch nicht aus dem Kutschenzeitalter herausgekommen war, liebte er schon Autos und Flugzeuge. Und er war ein Fan von Henry Ford, der in seinen Werken das erste auch für Arbeiter erschwingliche Automobil, den Ford T, bauen ließ, 15 Millionen Mal von 1908 bis 1927.
Auch zu Henry Ford, wie Hitler ein glühender Antisemit, hatten die Fachleute gesagt, ein erschwingliches Automobil sei nicht möglich. Da revolutionierte Ford die Produktion, führte das – vom Schlachthaus abgeguckte – Fließband ein, machte die Arbeiter erstmals zu Puppen, die von der Maschine betrieben wurden – und schuf mit dieser Degradierung der Handarbeit eben die Voraussetzungen für das Auto als Massenkonsumartikel.
Hitler war davon fasziniert, schon 1922 hing in seinem Münchner Büro ein Porträt des amerikanischen Autobauers, dem er später zu dessen 75. Geburtstag den höchsten deutschen Orden für Ausländer verleihen ließ. Und er schickte ganze Delegationen in die USA, die sich von Fords Art, Autos zu produzieren, inspirieren lassen sollten.
Instrument der Freiheit
Hitler liebte Geschwindigkeit und Tempo. Und er sah – wie Millionen Bundesbürger nach 1945 – im Auto ein Instrument der Freiheit. Der einzelne, sagte er in einer Rede, könne mit dem Auto frei verfügen, wann und wo er fahren möchte, der Reisende werde vom Diktat des Schienenverkehrs befreit. Wenn man will: freie Fahrt für freie Bürger.
Dabei hatte er gut erkannt, dass das teure, aber auch das erschwingliche Auto viel mehr als ein Transportmittel darstellt. Träume hatten sich an die Benzinkisten geheftet, und Hitler gab sich als der, der dem Volk den Volkswagen schenken und somit die automobile Volksgemeinschaft schaffen würde. Das Autofahren war eine Verheissung.
Nach einer Tour durch Bayern in einem Auto, das einem Kommilitonen gehört, schrieb der Student Helmut Hartmann am 13. April 1935 an seine „liebe Mutti“: „Um 8 Uhr kamen wir in München an. Ganz begeistert sind wir von der wunderbaren Fahrt. Was haben wir auch nicht alles gesehen! Niemals hätte ich mit der Bahn all diese Orte besuchen können. In einem Nachmittag haben wir in gemütlicher, überhaupt nicht anstrengender Fahrt die ganze Schönheit dieses Teiles von Oberbayern genossen!“
Die Planung setzte Hitler im Alleingang durch
Die Planung des Volkswagens setzte Hitler im Alleingang durch. Als der Reichsverband der Automobilindustrie die Aufgabe, die Unmöglichkeit eines erschwinglichen Autos zu beweisen, an eine Beratungsfirma abgab, machte er einen kapitalen Fehler. Den Auftrag erhielt das Unternehmen von Ferdinand Porsche Dieser war schon längst und unabhängig von Hitler von der Idee eines robusten und dennoch eleganten Billigautos fasziniert.
Porsche fand in Hitler an allen Institutionen vorbei die Unterstützung, die er für die Entwicklung des Wagens brauchte. Es war gewissermaßen ein Triumph des Willens, ein Sieg über Routine und Alltag.
Weil die Automobilindustrie so zögerte, ging der Auftrag nicht an eines der deutschen Automobilunternehmen – es wurde vielmehr vom Staat etwas Neues gegründet, eben das Werk bei Fallersleben. Und auf gespenstische Weise war es tatsächlich ein Volkswerk.
Kraft durch Freude
Denn das beträchtliche Gründungskapital von 175 Millionen Reichsmark kam von der DAF. Diese hatte, nach der Zerschlagung der Gewerkschaften 1933, deren gesamten Vermögen – also vor allem die Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder – an sich gerissen. Ein – erst einmal vollkommen marktferner – Staatsbetrieb, der auf Volksvermögen gegründet ist: Dieses Erbe von Planwirtschaft und Volksgemeinschaft ist VW – wo man ja immer stolz war auf die einvernehmlichen Sonderbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit – später nur sehr langsam und nie vollständig losgeworden.
Zum Serienbau des Volkswagens, der damals nach der NS-Freizeitorganisation Kraft durch Freude KdF-Wagen genannt wurde, kam es nicht mehr. Zum einen, weil der Zweite Weltkrieg begann (in dem der Wagen zum Kübelwagen umgerüstet für militärische Zwecke gebaut wurde), zum andern, weil nicht genügend Kunden in der Lage und bereit waren, mit einem monatlichen Sparbetrag von fünf Reichsmark den Wagen vorzufinanzieren.
Viele, so heißt es in einem Bericht des Sicherheitsdienstes der SS, hätten kein Vertrauen in die Fähigkeit des Regimes, den Frieden zu wahren und das Auto wirklich zu bauen.
Rund 90 Prozent waren nicht zerstört
Als schon im August 1945 die Automobilproduktion in Wolfsburg wieder begann, profitierte sie in doppelter Hinsicht von der NS-Vorgeschichte des VW. Anders als die meisten anderen Betriebe, war das spätere VW-Werk in Wolfsburg, das bis 1945 „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ hieß, zu 90 Prozent nicht zerstört. VW konnte mit einer intakten Fabrik und einer voll ausgereiften Produktionsidee starten. Zehn Jahre später lief der millionste „Käfer“ vom Band.
Die Älteren, die damals darin saßen, wussten, wes Ursprungs das Gefährt war. Aber das vergaß sich bald. Mitte der 60er-Jahre war der VW, der lief und lief, ein unschuldiges Gebrauchsgut. Seine totalitäre, planwirtschaftliche Herkunft war vergessen. Das lustige und praktische Auto mit der Form hatte zwar Züge des damals wenig beachteten Art Déco – erschien den nachwachsenden Generationen aber als ein originäres Kind der Bundesrepublik: rund, praktisch, gut, freiheitsverheißend und zum Nierentisch passend.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.