In einem seiner letzten Interviews erzählt Ivan Hirst im Herbst 1999, genau 50 Jahre nach der Übergabe der Volkswagenwerk GmbH in deutsche Verantwortung, die Geschichte der britischen Treuhänderschaft über das Wolfsburger Unternehmen. Mit Improvisationsvermögen, Organisationstalent und enormer Weitsicht formt er den zu großen Teilen zerstörten und zur Demontage vorgesehenen Rüstungsbetrieb zu einer zivilen Fahrzeugfabrik. Die Briten stellen so die Weichen für den späteren weltweiten Erfolg des Käfers und legen das Fundament für den Volkswagen Konzern von heute.
Episode 1: „Geh einfach nach Wolfsburg und finde die Fabrik”
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verliert die Volkswagenwerk GmbH ihre Eigentümerin, denn die NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront existiert nicht mehr. Die Amerikaner richten nach der Befreiung eine Werkstatt in der Fabrik ein. Als die Briten im Juni 1945 in ihre Besatzungszone eintreten, übernehmen sie die Treuhänderschaft für die Volkswagenwerk GmbH und schicken den 28-jährigen Major Ivan Hirst nach Wolfsburg. Hirst erkennt schnell, dass die Fabrik weit mehr bietet als Werkhallen für eine Reparaturwerkstatt. Er trifft Vorbereitungen, um eine zivile Produktion für die Volkswagen Limousine, den „Käfer“, aufzunehmen.

Major Ivan Hirst, Senior Resident Officer der britischen Militärregierung.
Episode 2: Der mühevolle Weg in eine unklare Zukunft
Weil während des Krieges im Volkswagen Werk fast ausschließlich Rüstungsgüter gefertigt wurden, steht es im Frühjahr 1945 auf der Demontageliste. Mit einem Auftrag über insgesamt 40.000 Fahrzeuge erhält die Volkswagenwerk GmbH einen für das Überleben der Fabrik wesentlichen Aufschub von vier Jahren. Aber mit dem Auftrag allein ist es nicht getan: Hirst muss große Widerstände überwinden, um die Produktion aufnehmen zu können und sie danach am Laufen zu halten. Beschaffung und Transport des notwendigen Materials sind kaum sicherzustellen, die Rekrutierung von geeigneten Arbeitskräften ist schwierig und es fehlt den Menschen am Nötigsten. Der erste frei gewählte Betriebsrat sorgt vor allem für eine gerechte Verteilung des Mangels.

Demokratie und Betriebsrat – Die Briten hatten im Sommer 1945 einen Betriebsrat eingerichtet. Im Oktober fanden zum ersten Mal Wahlen für eine Arbeitnehmervertretung statt. Auf der konstituierenden Sitzung am 27. November wurde Willy Hilgers zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt. Das Gremium stand unter Aufsicht der Militärregierung.
Episode 3: Das Unternehmen hatte eine Zukunft
Die Entnazifizierung durch die Alliierten führt zur Entlassung des bisherigen Werkleiters. Der Jurist Dr. Herrmann Münch löst ihn im Juni 1946 ab. Als Generaldirektor soll er, flankiert von einem kaufmännischen und einem technischen Direktor, die Fertigung der geplanten Stückzahl von 1.000 Fahrzeugen pro Monat sicherstellen. Neben diesen organisatorischen Neuerungen setzen die Briten ihre unverzüglich begonnenen Optimierungen fort: Sie verbessern die Qualität des Fahrzeugs und der Fertigungsabläufe, sie schulen Mitarbeiter im Kundendienst und beginnen mit dem Aufbau einer Handelsorganisation. Diese Maßnahmen sind so erfolgreich, dass Volkswagen bereits im Oktober 1947 mit dem Export beginnt.

Übergabe der ersten fünf Exportfahrzeuge an den niederländischen Importeur Ben Pon (3. von links), Anfang Oktober 1947.
Episode 4: Jeder Deutsche in Deutschland wollte einen Volkswagen kaufen
1948 verlassen bereits 19.000 Fahrzeuge die Fabrik, rund ein Viertel ist für den Export bestimmt.
Zu diesem Zeitpunkt hat auch die Produktion von Ersatzteilen für das stetig wachsende Service-Netz begonnen. Aufgrund der guten Zukunftsperspektiven beschließen die britischen Treuhänder, das Management einem Experten zu übertragen und das Unternehmen zurück in deutsche Verantwortung zu geben. Am 1. Januar 1948 tritt Heinrich Nordhoff als Generaldirektor an.
Episode 5: Alles geriet in Bewegung
Drei Jahre nach Ende des Krieges hat sich Volkswagen von einer Rüstungsruine zu einer gut funktionierenden Automobilfabrik mit 8.700 Beschäftigten entwickelt. Während sich die Arbeits- und Lebensbedingungen in Wolfsburg zusehends verbessern, ist die Lage in Deutschland jedoch noch immer vom Mangel geprägt. Die entscheidende Wende kommt am 20. Juni 1948 mit der Währungsreform, die in den drei westlichen Besatzungszonen einen Wirtschaftsboom auslöst und auch Volkswagen den entscheidenden Schub verleiht. Für Ivan Hirst geht zu diesem Zeitpunkt alles in die richtige Richtung. Am 8. Oktober 1949 überträgt die britische Militärregierung die Treuhänderschaft für die Volkswagenwerk GmbH an die Bundesregierung, die das Land Niedersachen mit der Verwaltung beauftragt.

Übergabe in deutsche Verantwortung:
Am 8. Oktober 1949 wurde die Treuhänderschaft über die Volkswagenwerk GmbH an die Bundesrepublik Deutschland übergeben, die Land Niedersachsen mit der Verwaltung beauftragte. Colonel Charles Radclyffe (Mitte) unterzeichnet das Protokoll zur Übergabe der Volkswagenwerk GmbH in die Treuhänderschaft der Bundesregierung. Das Foto zeigt rechts im Bild den Bundeswirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler Dr. Ludwig Erhard.
Bildnachweis: Volkswagen AG
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